Briefkopf eines alten Urteils

Briefkopf eines alten Urteils mit dem Wappen des Freitstaats Preußen 



1175 Grafschaft Altena wird in Grafschaft Isenberg (später „Limburg“) und Altena (später „Mark“, dazu gehört Iserlohn) aufgeteilt

1237 Iserlohn erhält Stadtrecht; im Laufe des Mittelalters erhält Iserlohn einen eigenen landesherrlichen Gerichtsstand. Sowohl Adelige als auch Iserlohner Bürger fungieren als Richter. Gerichtsverhandlungen finden im Privathaus des Richters statt.

1609 Grafschaft Mark - dazu Iserlohn - kommt zu Preußen

1701 Königreich Preußen

1738 Gerichtsverhandlungen werden in das Rathaus verlegt

1753 Erlass König Friedrichs II. betreffend „Die Neue Justizeinrichtung ... in der Grafschaft Mark“ : dreiköpfige Kollegien qualifizierter Richter, die für größere Landgerichtsbezirke zuständig waren, treten an die Stelle der oft unfähigen Einzelrichter. Iserlohn wird zum Landgericht Altena gelegt.

1794 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, die umfassende Kodifikation des privaten und - teilweise - des öffentlichen Rechts Preußens

1807 Napoleon schlägt die „Mark“ zum Großherzogtum „Berg“; beide gehören zum französischen „Ruhrdepartement“; zusammen mit anderen Gebieten bilden sie das „Königreich Westfalen unter König Jérome, dem Bruder Napoleons

1808 Ratsgericht Iserlohn wird zugunsten des „Einheitlichen Friedensgerichtes Iserlohn“ aufgehoben 

1813 Ende der französischen Herrschaft; die Mark fällt an Preußen zurück

1815 Der Wiener Kongress spricht auch die Grafschaft Limburg Preußen zu. Limburg - dem Fürsten Bentheim gehörig - behält zunächst eine eigene Gerichtsbarkeit; der Fürst setzt 1821 zwei von ihm besoldete Richter ein.

1815 Der Gerichtsbezirk umfasst 16 Gemarkungen: Kalthof, Landhausen im Norden, Evingsen im Süden, Äußerste Grenze im Osten war Brockhausen, Im Westen Lössel. Der Bezirk gehörte zur Provinz Westfalen und damit zu Preußen.

1831 Das Amtsgericht Iserlohn erhält ein eigenes Gebäude. Es war am „Kohlmarkt“, heute „Alter Rathausplatz“, (zwischenzeitlich „Neuer Markt“, „Kaiserplatz“, „Adolf-Hitler-Platz) zur Obersten Stadtkirche hin gelegen. In seiner unmittelbaren Nachbarschaft lag das Gerichtsgefängnis. Das Gefängnis galt als unsicher. 

1849 Als weitere Gemarkungen kommen Letmathe, Oestrich und Hennen hinzu, die bis dahin zu (Hohen-)Limburg gehört hatten.

1849 Das Kreisgericht Iserlohn besteht aus einem Kollegium von 6 Richtern mit vollem Geschäftsumfang sowie zwei Einzelrichtern, die als Iserlohner Kommissare in Hohenlimburg und Menden amtierten. 

1854 In das „Kassenlokal“ des Gerichtsgebäudes wird eingebrochen. Jetzt ist schließlich auch der preußische Justizminister in Berlin bereit, einem Neubau des Gerichts- und Gefangenengebäudes zuzustimmen.

1866 Der Kaufvertrag zwischen dem Magistrat der Stadt Iserlohn und der preußischen Justiz (Minister: Graf zur Lippe) über das Grundstück für den Neubau wird geschlossen.

1869 Die Gebäude werden fertiggestellt und bezogen. Sie liegen an der nun so genannten „Gerichtstraße“ neben dem damaligen Gaswerk. Der hinter dem Gebäude verlaufende Baarbach erhielt ein „Aquaduct“ unter den Kellerräumen des Gerichtes, um alle Feuchtigkeit von dem höher gelegenen Baarbach abzuführen.

1872 Letmathe wird Iserlohn unterstellt

1972 Das Gerichtsgefängnis wird in die moderne Justizvollzugsanstalt Iserlohn - Hennen ausgelagert.

1974 Der Bezirk des Amtsgerichts Iserlohn umfasst das Gebiet der Städte Iserlohn und Hemer (nach der kommunalen Neuordnung).

1984 Das Iserlohner Amtsgericht bezieht seinen Sitz im neuen großzügigen Gerichtsgebäude in der Friedrichstraße in Iserlohn.

 

Wie früher Recht gesprochen, Rechtsfrieden geschaffen wurde, mag ein - zwar nicht spektakulärer aber auch nicht alltäglicher - Fall zeigen, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts entschieden wurde:

 Wie sich im Jahre 1854 der königliche Justizfiskus und die Stadt Iserlohn vor dem königlichen Kreisgericht zu Iserlohn stritten... 

Zu dem Iserlohner Gericht gehörte im 19. Jahrhundert ein Gerichtsgefängnis zur Unterbringung der Gerichtsgefangenen. Daneben wurden auch Polizeigefangene dort untergebracht, da die Stadt Iserlohn, die für diese verantwortlich war, kein eigenes Gefängnis hatte. Zwischen dem Justizfiskus und der Stadt bestand ein Vertrag aus dem Jahr 1852, in dem für die Verpflegung dieser Gefangenen ein Betrag zu zahlen war. Der genaue Inhalt dieses Vertrages ist nicht bekannt. Aber man weiß ja, dass in jeder Vereinbarung der Keim, der Virus eines Rechtsstreits liegt und nur die Inkubationszeit unterschiedlich lang ist.

Anlass für den Rechtsstreit war die sprichwörtliche Sparsamkeit des preußischen Justizfiskus, eine Tugend, die man auch heute der Justiz nachsagt. Bei einer Revision des Gefängnisses wurde festgestellt, daß eine größere Menge Kohlen, als erwartet, verbraucht worden war. Der Gefangenenwärter berief sich darauf, dass der erhöhte Verbrauch für die Unterkunft der Polizeigefangenen eingetreten sei.

Der Justizfiskus meinte, für die höheren Kosten sei die Stadt Iserlohn aus dem Gesichtspunkt der „nützlichen Verwendung“, einem Rechtsinstitut des ALR (Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794), verantwortlich. Die Stadt berief sich auf den geschlossenen Vertrag nach dem ein fester Betrag für die Verpflegung vereinbart sei. Bei den gegensätzlichen Rechtsansichten scheiterte eine Einigung. Der Controleur Walle erhob für den Justizfiskus am 28. 11. 1853 Klage gegen den Magistrat der Stadt Iserlohn vor dem Königlichen Kreisgericht.

Bei dem geringen Streitwert hatte als Richter der Commissar für Bagatellsachen zu entscheiden. Wahrscheinlich würde für einen derartigen Fall heute das Schlichtungsverfahren vorgeschaltet sein.

Der neugierige Leser - in der Annahme, dass die Mühlen der Justiz langsam mahlen - mag zunächst fragen, wie lange sich der Prozess wohl hingezogen hat. Er wird mit Erstaunen feststellen, dass bereits vier Monate später, am 20. 3. 1854, das Urteil erging, - ohne die heute gängigen technischen Hilfsmittel - , von Gerichtsschreibern handschriftlich abgefasst.

Erstaunlich ist das Urteil nach Inhalt und Form. Es besteht aus einem einzigen Satz, in dem alle die Entscheidung tragenden Erwägungen in Nebensätzen vollständig enthalten sind:

 

Altes Urteil
altes Urteil mit dem folgenden Inhalt:
"Im Namen des Königs hat in Sachen ... der Commissar ... in Erwägung,
daß nach dem Zugeständnis der Parteien der gerichtliche Gefangenenwärter verpflichtet ist, auch Polizeigefangene zu verpflegen, daß zur Verpflegung eines Menschen nicht nur Nahrung, Reinigung, sondern im hiesigen Klima auch die Beschaffung der erforderlichen Wärme im Winter gehören, daß somit der Magistrat nicht verpflichtet erscheint, Kosten der Heitzung, welche vertragsgemäß Polizeigefangenen geliefert werden, zu erstatten, und dem königlichen Fiskus, wenn der Gefangenenwärter zu dieser Heitzung Kohle verbraucht haben möchte, zu deren Verbrauche er nicht berechtigt war, dieserhalb kein Anspruch aus der nützlichen Verwendung gegen den Magistrat zustehen würde, hiernach die Klage unbegründet erscheint, auch nach § 2 ... AGO dem Succumbenten die Kosten zur Last fallen, den Verhandlungen gemäß für Recht erkannt:
daß der Kläger mit der Klage vom 28. November 1853, wie hierdurch geschieht, abzuweisen und demselben die Prozeßkosten zur Last zu setzen.
Von Rechts wegen, Iserlohn, 20. März 1854, Königliches Kreisgericht, Commissar für Bagatellsachen, gez. Lennich."

Richten wir noch kurz unser Augenmerk auf den im Konjunktiv stehenden Konditionalsatz: „... wenn der Gefangenenwärter zu der Heizung Kohlen verbraucht haben möchte, ...“ . Der Richter läßt seine Skepsis durchschimmern, ob die Kohlen wirklich für die Gefangenen verbraucht wurden. Diesem im Verfahren kurz auftauchenden Zweifel brauchte er jedoch nicht nachzugehen, da die Entscheidung im Ergebnis nicht beeinflusst worden wäre.

Ein in seiner Vollständigkeit und Kürze klassisches Urteil! Aber welcher Unterliegende ist schon mit einem gegen ihn ergehenden Urteil einverstanden? Darin unterscheidet sich der preußische Fiskus nicht von anderen Personen. Er legte die zulässige Recursbeschwerde bei dem Apellationsgericht in Hamm ein.

Wir stellen uns vor, daß das Apellationsgericht, das ja für die Einheitlichkeit der Rechtsprechung im gesamten Westfalen zu sorgen hatte, erschöpfende Rechtsausführungen zu dem Begriff der „nützlichen Verwendung“, der Abgrenzung zum Vertrag und zum Inhalt der Verpflegung machen würde. Derartige Entscheidungen brauchen, wie wir wissen, Zeit.

Nichts von alledem! Bereits drei Monate nach dem Erlass des ersten Urteils, am 28. 6. 1854, ergeht der Bescheid, der noch kürzer ist als das Ersturteil. Auch dieser Bescheid ergeht in einem Satz, in dem es im wesentlichen heißt:

 "Die ... Recursbeschwerde erscheint nicht begründet, weil die mit dem Gefangenenwärter ... von Seiten der Stadt 18. Mai 1852 ausbedungene Verpflegung der Polizeigefangenen der Bedeutung des Wortes nach deren Erwärmung durch Heitzung einschließt, mithin die Zahlstelle, ... nicht (aber) gegen die Stadt eine nützliche Verwendung geltend gemacht werden kann ... ."

Ein weiteres Rechtsmittel war nicht gegeben. - Nun geschieht etwas völlig Überraschendes: Bereits am 5. 8. 1854, also sechs Wochen später, schließen der Bürgermeister der Stadt Iserlohn und der Direktor des Kreisgerichts einen Vertrag, in dem sich der Magistrat verpflichtet, pro Tag und Kopf 1 Silbergroschen und 3 Pfennige an Heizkosten für jeden Polizeigefangenen zu zahlen, die Summe, die vorher von der Justiz verlangt worden war. Zudem wird vereinbart, daß der volle Betrag pro Tag auch dann anfällt, wenn der Polizeigefangene bereits kurze Zeit nach der Einlieferung wieder entlassen wird.

Über die Gründe für die Vereinbarung wird nichts gesagt. Wir können sie nur vermuten. Wahrscheinlich ist, dass der selbstbewusste Magistrat der Stadt Iserlohn eine gerichtliche Entscheidung mit der Bestätigung seiner Rechtsposition haben wollte. Danach zeigte man sich bereit, eine für die Gegenseite großzügige Vereinbarung zu treffen.

chronik3
Blick auf den Eingangsbereich des ehemaligen Amtsgerichts Iserlohn ...

 

 

Ansicht des 1869 bezogenen Amtsgerichtsgebäudes. Rechts vom Portal ein - vermutlich - Pkw Opel Olympia, der ab 1936 gebaut wurde. Mit den gefälligen Sandsteineinfassungen wirkt das Gebäude fast freundlich. Nicht zu sehen ist das dahinter liegende Gefängnis.

... das Ganze von der Rückseite
 

 

So sah das Amtsgerichtsgebäude etwa im Jahre 1975 aus.
Die freundlichen Sandsteineinfassungen und der Rundbogen über dem Eingang sind verschwunden.
Dafür gibt es offenbar mehr Publikumsandrang ...

Luftbildaufnahme des im Jahre 1984 bezogenen Amtsgerichts Iserlohn
 

 

Neues Amtsgerichtsgebäude am neuen Platz
in Iserlohn an der Friedrichstraße,
bezogen im Jahre 1984.